Berliner Stiftungsrede von Jutta Allmendinger: »Alles im Fluss - vom Bewahren und Gestalten«

Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), Prof. Dr. h.c. Jutta Allmendinger, Ph.D., hat im April 2018 die BERLINER STIFTUNGSREDE gehalten. Die Berliner Stiftungsrunde hat die renommierte Soziologin gebeten, das Schwerpunktthema der Berliner Stiftungswoche zum Ausgangspunkt ihrer Rede zu machen und ihre Sichtweise zu dem Thema darzulegen: »ALLES IM FLUSS – VOM BEWAHREN UND GESTALTEN«.

 

In Bundestagsreden, in politischen Kommentaren, in den sozialen Medien und vielen Blogs, durchaus auch in wissenschaftlichen Arbeiten finden wir die Mahnungen, doch endlich aufzuwachen aus unserer bundesdeutschen Lethargie: die Zukunft entschlossen anzugehen, zu gestalten und uns zu öffnen für das Neue. Natürlich wird auf technologische Veränderungen hingewiesen, auf rapide Umbrüche in der Arbeitsorganisation, bei den Arbeitsinhalten, der Stellung der Menschen im Arbeitsprozess. Nachdrückliche Appelle an ein besseres Bildungssystem folgen, mit höherer Chancengerechtigkeit für Menschen aus Haushalten ohne akademischen Hintergrund, aus anderen Kulturen, mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen. Inklusion und der Abbau von Bildungsarmut sind hier bekannte Stichworte. Der Umbau der Krankenversicherung wird thematisiert. Das duale System hat sich als nicht zukunftsfest erwiesen, ist ineffizient und überträgt soziale Unterschiede in die Versorgung von Kranken. Auch hier wird ein aktives Gestalten gefordert, und das nicht erst seit heute. Das Rentensystem kippt und leistet nicht mehr das, was es anfangs versprochen hat: »Die Rente ist sicher und garantiert im Alter ein gutes Leben, solange man nur ausreichend viele Jahre gearbeitet hat.« Auch die Wohnungsfrage drängt. Räumliche Verdichtungen auf der einen Seite und verlassene Landschaften ohne Infrastruktur auf der anderen schreien nach aktivem Handeln. Zutreffend titelt die Caritas in einer Plakataktion: »Auf dem Land wird noch ehrlich gekickt, auch wenn die Elf nur noch zu fünft spielt« oder »Wer das Land liebt, kommt nicht mehr davon los. Zumindest nicht mit dem Bus«. Und wie steht es mit der Einkommens- und Vermögensverteilung insgesamt? Warum sperren wir uns nicht gegen maßlose Bonuszahlungen, die Gerechtigkeitsvorstellungen der Menschen in Deutschland aushöhlen? Warum lassen wir es zu, dass wenige hohe Vermögen anhäufen, viele aber von ihrem Lohn allein nicht leben können? Liegen diese Themen jenseits der Gestaltbarkeit oder des Gestaltungswillens politischer Akteure? Natürlich wären auch der Klimawandel und die europäische Frage zu nennen, doch ich belasse es bei einem letzten Beispiel: Flüchtlinge und Migranten. Wir haben kein Einwanderungsgesetz. Harte Positionen treffen hier aufeinander, uns fehlt der ehrliche Diskurs.

Diese Semantiken überfälliger Veränderungen, einer Vogel-Strauß-Politik und der schieren Unfähigkeit des aktiven Gestaltens treffen auf Standpunkte, die das genaue Gegenteil formulieren. Ein Rückbau in die vermeintlich bessere Welt von gestern wird gefordert, mit sogenannten Normalarbeitsverhältnissen, strikter Rollenteilung zwischen Männern und Frauen, ohne die Ehe für alle. Ein Heimatministerium wird eingerichtet, Migranten sollen wieder temporäre Gäste sein, in einem starken Nationalstaat mit ordentlichen Grenzen und eigener Währung.

Angesichts dieser zerrissenen Diskurse hat das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, ein großes Leibniz-Institut, welches ich seit zehn Jahren leiten darf, zusammen mit der Wochenzeitung DIE ZEIT und dem infas-Institut für angewandte Sozialwissenschaft über 3100 Menschen befragt. Männer und Frauen, die zwischen 14 und 80 Jahren alt waren, in Ost und West, Süd und Nord lebten, in Städten und auf dem Land, mit oder ohne Migrationserfahrung. Wir haben sie besucht und lange mit ihnen gesprochen. Über ihr Leben, über das, was ihnen selbst wichtig ist, was sie bewahren und den kommenden Generationen mit auf den Weg geben möchten. Über das, was sie wegwerfen und hinter sich lassen würden, könnten sie nochmals entscheiden, wie sie ihr Leben führen. Vermächtnis haben wir das genannt, man könnte auch von einem Auftrag reden, den sie uns und vielleicht sich selbst erteilen.

Beide Fragerichtungen – »Wie ist es heute?« und »Wie soll es werden?« – sind für sich genommen spannend, auch wenn es bereits viele Erhebungen gibt, die das Hier und Jetzt erkunden. Was mich aber besonders interessiert und das Thema der diesjährigen Stiftungswoche berührt, sind die Vergleiche zwischen den Antworten auf die beiden Fragerichtungen.

In welchen Bereichen empfehlen, wünschen und fordern die Menschen ein »weiter so«? Wann also legen sie ihren eigenen Lebensentwurf den kommenden Generationen unverändert ans Herz? Gibt es eine einheitliche Meinung oder gehen die Ansichten weit auseinander? Machen das Geschlecht, die Bildung, das Alter, die Migrationserfahrung einen Unterschied?

Und in welchen Bereichen ist es umgekehrt? Wann wird von wem das Gegenteil gefordert? Das Heute soll dann gerade nicht das Morgen sein, man wünscht sich, ja man fordert Veränderungen und den Mut, diese auch umzusetzen.

Beginnen wir mit den Bereichen, in denen die Menschen Kontinuität einfordern. Hier sticht die Erwerbsarbeit hervor. Sie ist den Menschen sehr wichtig, da sind sie sich einig. Und alle wünschen sich, dass es auch so bleibt. Junge Menschen, die noch nicht erwerbstätig sind, ebenso wie Ältere, die schon lange im Ruhestand sind. Gut Gebildete und schlecht Gebildete, Menschen mit und ohne Migrationserfahrung.

Die Menschen arbeiten, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Das ist wenig überraschend. Doch Erwerbsarbeit bedeutet ihnen mehr als nur finanzielle Absicherung. Sie schafft neue kommunikative Räume, bringt neue Erfahrungen, Orte außerhalb der eigenen Familie, ein Stück eigenes Leben, wie Elisabeth Beck-Gernsheim das so treffend ausgedrückt hat. Selbstwertgefühl, eine nicht in Geld zu messende Bereicherung des Lebens.

Um dies mit fester Stimme sagen zu können, habe ich nicht in eine Zauberkugel geschaut. Vielmehr entnehme ich dies den Antworten der Menschen auf die Frage: »Würden Sie auch erwerbstätig sein, wenn Sie das Geld nicht bräuchten?« Über 60 Prozent der Befragten stimmen dem vorbehaltlos zu. Die Ausnahme bilden Menschen in schlechter Arbeit, also mit befristeten Tätigkeiten in Folge, vielen Schichtdiensten, Niedriglohn, Arbeit auf Abruf, Überforderung aufgrund zu dünner Personaldecke.

Dennoch: Dieses starke Drängen auf Erwerbsarbeit beschäftigt mich sehr und macht mich nachdenklich. Denn es trifft auf parallele Diskussionen um das bedingungslose Grundeinkommen, das einen starken gesellschaftlichen Zuspruch erfährt. Wann immer ich auf Podien sitze und mit den Teilnehmenden diskutiere, die sich entschlossen für ein bedingungsloses Grundeinkommen einsetzen, stehe ich mit meiner Meinung allein. Meine Hinweise auf die Studienergebnisse und darauf, dass die soziale Ungleichheit im Einkommen noch steigen würde, da viele begüterte Menschen noch mehr Geld bekämen, ohne dieses auch nur ansatzweise zu brauchen, verhallen. Meine Argumente, dass sich viele Arbeitgeber ihrer Verantwortung für den Erhalt von Beschäftigung einfach entziehen könnten, sich sozusagen »freikaufen«, überzeugen nicht. Wie kann es sein, dass eine repräsentative Befragung ergibt, dass allen Erwerbsarbeit außerordentlich wichtig ist und sie doch einem bedingungslosen Grundeinkommen applaudieren?

Weiterführende Studien und viele Unterhaltungen haben gezeigt, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen oft geschätzt und gefordert wird, weil es genau genommen gar nicht um bezahlte Arbeit geht. Es geht um Sicherheit und bezahlte freie Zeit. Diese »unbedingte freie« Zeit nimmt einen immer größeren Stellenwert ein. Die Menschen möchten ein Sabbatical machen und dieses für eine Orientierungsphase nutzen können. Sie möchten zeitweise ihre Arbeitsstunden reduzieren und dann sicher auf ihre ursprüngliche Stundenzahl zurückkehren können. Diese Interpretation stützt auch der aktuelle Tarifabschluss der IG Metall, die mit Pflege und Kindererziehung bei teilweisem Lohnausgleich erstmals ein sogenanntes Frauenthema in den Vordergrund gerückt hat. Dabei wurden auch Grundsatzfragen wie die Verteilung von bezahlter und unbezahlter Zeit zwischen Frauen und Männern diskutiert. Dass die IG Metall mit einem hohen Männeranteil hier wichtige Impulse setzt, hat mich überrascht.

Auch aus meinem eigenen beruflichen Umfeld kann ich ein Beispiel ergänzen. Das WZB ist ein fertiles Institut, wenn ich das so sagen darf. Wir freuen uns alle über Kinder, es macht uns nichts aus, für die Kolleginnen und Kollegen einzuspringen, sie à jour zu halten. Nur manchmal beobachte ich eine Art Schluckauf. Dann nämlich, wenn Eltern zusammen Elternmonate nehmen, eine lange Reise antreten und wohlgemeinte Postkarten aus der Ferne schicken. »Ich will auch mal zwei Monate raus, warum muss ich dafür ein Kind bekommen?« Diese Frage höre ich dann von jenen, die aus verschiedenen Gründen keine kleinen Kinder haben oder deren Kinder längst erwachsen sind.

Was ist also zu tun? Wir müssen Geld und Zeit und Arbeit und Sicherheit in neuer Weise denken. Wir müssen alternative Abfolgen der einzelnen Lebensphasen motivieren, mit Unterbrechungen in der Mitte und einem Arbeiten im späteren Verlauf. Wir sollten dafür das Feld des bedingungslosen Grundeinkommens nicht einigen wenigen privaten Initiativen und Crowdfunding-Projekten überlassen, sondern systematisch erforschen, wofür Menschen das bedingungslose Grundeinkommen nutzen würden. Eine solche Forschung und die gewonnenen Erkenntnisse könnten eine zerfahrene Diskussion erhellen und zu sinnvollen gesellschaftlichen Neujustierungen führen. Sie könnten auch verbunden werden mit neuen Forderungen nach einem solidarischen Grundeinkommen und mit der von Tony Atkinson eingebrachten Idee eines Chancenkontos zu Beginn des Lebens. Auch hier sollten wir die Wirkungen zunächst erforschen, über Flankierungen nachdenken und erst dann implementieren.

Die gestiegene Lebenserwartung bei guter Gesundheit erlaubt uns, diese Modelle umzusetzen. Und sicherlich lassen sie sich auch versicherungsmathematisch berechnen. Ich würde mich freuen, wenn Stiftungen hier aktiv würden und Impulse setzten.

Auch in einem zweiten Bereich wünschen sich die Menschen Kontinuität. Sie teilen das tiefe Bedürfnis nach Nähe, nach einem Wir-Gefühl, nach Familie, nach einer sozialen Einbettung und stellen sich damit in gewisser Weise gegen Individualisierung, Wettbewerb und Selbstdarstellung. Die Zustimmung ist groß, über alle Gruppen hinweg. Die Vorstellungen, wie dieses Zusammenleben ausgestaltet sein sollte, variieren aber deutlich. Beispielsweise gilt manchen die Ehe als Ausdruck einer besonderen Liebe, andere leben bewusst in einer Partnerschaft ohne Trauschein. Aber die unterschiedlichen Modelle werden von allen akzeptiert, die Vielfalt wird anerkannt und begrüßt.

Allerdings gibt es auch in diesem Bereich Entwicklungen, die mich stutzig und nachdenklich machen. Denn wiederum lässt sich empirisch belegen, dass Freundeskreise und Partnerschaften mehr und mehr in den eigenen sozialen Kreisen gefangen bleiben und sich selten unbekannten Anderen öffnen. Man diskutiert und unternimmt Dinge unter seines- und ihresgleichen, status- und meinungskonform. Diese Wohlfühlgruppen haben selbstverständlich ihre Berechtigung, gesellschaftspolitisch aber sehe ich eine gewisse Gefahr.

Denn wer das Fremde nicht kennenlernt, verschließt sich dem Fremden eher. Wer aber Menschen aus anderen sozialen, ethnischen, religiösen Kreisen begegnet, hat die Chance, seine Vorurteile und Zuschreibungen zu überprüfen, den Menschen hinter dem Objekt zu erkennen. Er kann sich so eher für das Neue und Andere öffnen. Stereotypisierungen aber haben fast immer fatale Folgen. Sie führen zur Ausgrenzung von Menschen mit anderem sozialen Hintergrund, mit Migrationserfahrung oder mit anderer Religion. Jede Frau in einer Führungsposition kann abendfüllend darüber berichten.

Was können Stiftungen hier tun? Sicherlich nicht Partnerschaftsbörsen bitten, Hinweise auf die ökonomische Absicherung, Nationalität und Bildungsabschlüsse zu streichen. Aber sie könnten daran mitarbeiten, Institutionen und Räume wieder einzuführen, die abgeschafft wurden. Den Zivildienst beispielsweise, verpflichtend nicht nur für Männer, sondern auch für Frauen. Kitas und Schulen, die zumindest in der Grundstufe nicht segregiert und bewusst quotiert sind. Städte, deren Baupolitik systematisch auf die Vernetzung sozialer Kreise setzt. Hochschulen, die von Vielfalt leben. Wie also motivieren Stiftungen ein soziales Jahr für alle und messen dessen Erfolg? Wie intensivieren wir einen Städtebau, der auf die Durchmischung sozialer und kultureller Kreise setzt? Wie lässt sich das Verständnis von Vielfalt systematisch in Curricula einbauen?

Kommen wir zu den Bereichen, in denen sich die Menschen in Deutschland eine Veränderung wünschen, in denen sie sich selbst korrigieren. Hier treibt sie besonders der technologische Wandel um. Sie fühlen sich unzureichend gewappnet und wollen für die Anforderungen der Digitalisierung besser gerüstet sein.

Bei der Frage danach, wie wichtig es ihnen ist, die neuesten technologischen Entwicklungen zu verstehen, sind die meisten Menschen selbstkritisch. Sie wissen, sie sollten sich stärker interessieren und empfehlen dies auch den kommenden Generationen. Alterseffekte sind hier deutlicher als in den meisten anderen Bereichen. Insbesondere Ältere betonen, wie wichtig es ist, sich so früh wie möglich mit den Hintergründen des technologischen Wandels zu befassen. Die Jüngeren, die mit dem Internet und den digitalen Medien aufgewachsen sind, sind dagegen vorsichtiger und würden beispielsweise Kinder nicht so früh an die neuen Techniken heranführen. Alle aber sind sich einig, dass mehr getan werden muss, damit die Menschen die Möglichkeiten der Digitalisierung emanzipiert nutzen können. Curricula müssen entwickelt werden, die digitale Kompetenzen vermitteln, damit die Menschen an der heutigen und morgigen Gesellschaft teilhaben können.

Die Menschen sind prinzipiell offen für Neues, das zeigen ihre Antworten. Aber wir müssen ihnen passgenaue, interessante Angebote machen, ihnen den Mut geben, die neuen Inhalte zu meistern, und die Sicherheit, dass sie mit dem neuen Wissen weiterkommen, eine Chance haben.

Nehmen wir wieder ein Beispiel. Wenn ein Fahrer in der Straßenreinigung zu Hause einen Staubsaugerroboter hat, ahnt er zumindest, dass dies auch eine Option für »seine Straße« wäre. Er wird unsicher und fürchtet um seinen meist gut bezahlten und sicheren Job. Er sieht die Veränderungen und überträgt sie auf sich selbst. Und was machen wir? Nichts. Wir müssen aber präventiv vorsorgen, bevor der Schadensfall eintritt – und damit meine ich die Arbeitslosigkeit. Wir könnten Menschen in Jobs, die starker Digitalisierung unterliegen, heute Teilzeit in Arbeitslosigkeit überführen und sie weiterbilden in Tätigkeiten, die eine Zukunft haben. Die Kosten sind solidarisch zu tragen – von der Wirtschaft und dem staatlichen Bildungssystem. Auch hier könnten Stiftungen viel tun. Verschiedene Analysemethoden zeigen uns, wo und wie sich die Tätigkeitsinhalte verändern. Warum passen wir die dualen Ausbildungscurricula und die duale Hochschulbildung nicht entsprechend an? Warum schaffen wir keine Brücken, die Sicherheit bieten bei dem schwierigen und zumindest in Deutschland kulturell nicht gut vorbereiteten Übergang zwischen Jobs? Warum investieren wir nicht mehr in Methoden der Datenerhebung ganz neuer Art, um die besten und effektivsten Wege zu finden?

Kommen wir zu einem zweiten Bereich, in dem sich die Menschen Veränderung wünschen und sich selbst kritisieren: gesunde Ernährung und eine nachhaltige Nahrungsmittelproduktion. Die Menschen wissen, dass sie meist ungesund essen und durch ihren Konsum eine Tierhaltung und Landwirtschaft unterstützen, die sie moralisch ablehnen. Bei Kaffee und Kleidern, die von Kindern hergestellt werden, ist das ähnlich. Im Gegensatz zum technologischen Wandel sehen sie hier aber kaum Ansatzpunkte für eigenverantwortliches Handeln. Hier braucht es staatliche Rahmenverordnungen, die strenger sind als bisher, die auf stärkere staatliche Kontrolle der Lebensmittelkonzerne drängen, aber auch auf vollständige und verständliche Informationen über die Produkte. Und es braucht einen Unterricht, der von Beginn an über gesunde Ernährung aufklärt, über Nahrungsketten, die bedrohte Biodiversität und die damit einhergehenden Folgen für alle. Auch auf diesem Feld können Stiftungen massiv investieren.

In der Vermächtnisstudie wurde noch in eine dritte Richtung gefragt, und zwar: Wie wird es tatsächlich sein? Die Antworten werfen auch ein Licht auf die Einstellungen gegenüber den Mitmenschen. Denn die Zukunft hat schon begonnen, im Leben der anderen. Und hier zeigt sich große Unsicherheit. Die Zukunft wird anders, als man sich wünscht, weil die Menschen außerhalb der eigenen sozialen Kreise ganz andere Prioritäten setzen. Daraus ergibt sich Sorge und mancherorts ein Rückzug ins Eigene, Bekannte. Und dies lässt mich meinen Appell wiederholen: Wir müssen in die Bildung der Menschen investieren, ihre prinzipielle Offenheit für Neues fördern, in demokratischen Schulen, die Diversität und Inklusion leben, in sozialen Räumen, die Begegnungen und Kennenlernen verschiedenster Menschen ermöglichen. Lassen sie uns dabei alle an einem Strang ziehen, indem wir erfolgreiche Projekte in die Fläche bringen, sie adaptieren und langfristig begleiten. Von mir aus können wir auch Wetten abschließen: Funktioniert eine von Stiftungen gezahlte Intervention, so müssen die Schulbehörden nachziehen. Ein Verpuffen von Ergebnissen und kleinteiliges Stiftungswesen können wir uns nicht leisten. Wir brauchen innovative Stiftungsansätze, die die Veränderungen in der Gesellschaft aufgreifen und die Menschen unterstützen, die diese gestalten und mittragen.
 

JUTTA ALLMENDINGER zählt seit Jahren zu den wichtigsten Stimmen in der deutschen Wissenschaft. Sie studierte Soziologie, Sozialpsychologie, Volkswirtschaftslehre und Statistik in Mannheim, Wisconsin und Harvard. 1992 erhielt sie einen Ruf als Professorin für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Von 1999 bis 2002 war Jutta Allmendinger als erste Frau Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Im April 2007 übernahm sie die Leitung des WZB und wurde an der Humboldt-Universität zu Berlin zur Professorin für Bildungssoziologie und Arbeitsmarktforschung ernannt. Seit 2012 ist sie Honorarprofessorin an der Freien Universität Berlin. 2013 erhielt sie von Bundespräsident Joachim Gauck das Verdienstkreuz 1. Klasse des Bundesverdienstkreuzes.