Wem gehört die Stadt? - Eine Frage der Gerechtigkeit

Die Berliner Stiftungswoche will eine überfällige Debatte anstoßen

 

Wenn in den Gremien der Berliner Stiftungswoche das Schwerpunktthema diskutiert und festgelegt wird, ist der nächste April gefühlt noch recht weit weg. In der Regel findet die Themenfindung im Hochsommer ihren Abschluss und die folgenden Monate dienen der Profilierung des Themas und der Vorbereitung des Veranstaltungsmarathons im darauffolgenden April.

 

Auch im besonders hochsommerlichen Juli 2018 war dies nicht anders, als das Thema »Wem gehört die Stadt?« als mögliches Schwerpunktthema in der Stiftungsrunde vorgeschlagen und nach einer breiten Erörterung beschlossen wurde. Der Anspruch ist natürlich jedes Jahr aufs Neue, ein Thema zu finden, das möglichst vielen teilnehmenden Stiftungen Anknüpfungspunkte zur eigenen Arbeit bietet und gleichzeitig einen aktuellen gesellschaftspolitischen Bezug aufweist. Selten hat ein Schwerpunktthema der vergangenen Jahre zwischen der Debatte und dem Start der Stiftungswoche derart an Fahrt aufgenommen, wie das aktuelle Motto. Besaßen die Themen Mietpreisentwicklung und Turbo-Gentrifizierung im vergangenen Sommer noch eher mittleren Nachrichtenwert, so stehen sie heute zu Recht ganz oben auf der Agenda. Denn die Themen stehen stellvertretend für eine schier ungezügelte und vor allem ungesteuerte Entwicklung in den Städten. Waren anfangs nur die Innenstadtbereiche der Großstädte betroffen, wurden inzwischen auch längst Speckgürtelgemeinden oder mittlere und kleinere Städte davon erfasst. Dies ist nur einer von zahlreichen Domino-Effekten, die inzwischen zu beobachten sind – auch am Berliner Stadtrand oder in den Umlandgemeinden sind die Mietpreise und die Kaufpreise für Eigentum massiv gestiegen. Ein anderer Domino-Effekt sind die innerstädtische Verdrängung und Verödung.

Wenn auch Gewerbeimmobilien nur noch von maximalen Renditeerwartungen getrieben sind, bleiben am Ende für Kitas und Nachbarschaftszentren, für Künstlerateliers und Sportvereine in der
Innenstadt keine bezahlbaren Objekte mehr übrig. Steuern wir also mit durchsanierten, homogenen Innenstadtbezirken auf das Ende der »Berliner Mischung« zu? Die legalen und illegalen Ferienwohnungen sind ebenfalls ein beschleunigender Faktor.

Wer demzufolge all diese Themen diskutieren will, darf das Ganze nicht auf ein Politikfeld oder auf ein Ressort in der Tageszeitung verengen. Es geht doch längst um eine Gerechtigkeitsdebatte, die überfällig ist. Wollen wir eine Gesellschaft, in der die einen immer reicher und die anderen immer verzweifelter werden und versuchen, mit zwei Nebenjobs ihre Miete zu finanzieren? Wann stellen wir endlich die übergeordneten Fragen: Den geschilderten Entwicklungen wurde in Berlin und in anderen Städten politisch – abgesehen von einer nahezu wirkungslosen Mietpreisbremse – nichts entgegengesetzt; weder auf Landes- noch auf Bundesebene. Ist durch das lässige »geschehen lassen« seitens der Politik nicht längst die Soziale Marktwirtschaft in Deutschland aufgekündigt worden? Der Staat hatte sich aus dem sozialen Wohnungsbau zurückgezogen und auf die freien Kräfte des Marktes gesetzt. Und das Ergebnis ist nun zu besichtigen: 17 Euro pro Quadratmeter in Innenstadtrandlage und dennoch Schlangen in Zweierreihen bei den Besichtigungsterminen.

Ab wann die Ausnutzung einer »Zwangslage eines anderen« als Wucher gilt, ist gesetzlich geregelt und zu Recht unter Strafe gestellt. Ab wann ein absurdes Mietpreisniveau zur Zwangslage einer ganzen Stadt führt, ist bislang noch nicht geregelt. Es wird Zeit, darüber zu diskutieren.